07. März 2017

Die islamische Herausforderung.

Politik zwischen heiligem Krieg und europäischen Werten
Prof. Dr. Bassam Tibi, Professor emeritus für internationale Beziehungen, Göttingen, Begründer der Wissenschaft der Islamologie

Im Rahmen der Vortragsreihe von MCI Alumni & Friends begrüßte die Unternehmerische Hochschule® Professor Dr. Bassam Tibi, emeritierter Professor für internationale Beziehungen an der Universität Göttingen und Begründer der Wissenschaft der Islamologie. Prof. Bassam Tibi, in Damaskus/Syrien geboren und streng islamisch erzogen, kam als 18-Jähriger nach Deutschland und wurde im Laufe seines Studiums stark von europäischen Werten geprägt, wie sie sich insbesondere bei Vertretern der kritischen Theorie wie Adorno, Horkheimer oder Habermas findet. Weitere 20 Jahre später wurde er als Professor an die Cornell University in den USA berufen und sagt heute von sich, dass er amerikanisch denke. Er trenne daher zwischen Wissenschaft und Glauben und spreche nicht als Vertreter des Islam, sondern als Wissenschafter.

Der Anteil der Muslime in Europa steigt ständig, zusätzlich verstärkt durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahre. Derzeit leben in Europa zwischen 30 und 35 Mio. Muslime, 8 Mio. davon in Frankreich und 6,5 Mio. in Deutschland. Tibi trifft an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus: Mit Islam sei die Religion (Iman) gemeint, während sich der Islamismus darauf beziehe, eine Staatsordnung nach islamischen Regeln und Werten zu errichten (Scharia). Die islamische Herausforderung bestehe darin, dass 63 % der in Europa lebenden Muslime Anhänger des Islamismus seien. Dieser weise zwei unterschiedliche Muster auf: Der größte Teil der Islamisten vertrete die friedliche Variante eines institutionellen Islamismus. Die Demokratie werde hier als Vehikel zum Erreichen der islamischen Staatsordnung gesehen. Als Beispiel nennt Tibi die Türkei mit ihrem Präsidenten Erdogan. Daneben gebe es jedoch noch jene Gruppe der Islamisten, die den Dschihad als Konzept zur Erreichung der islamischen Staatsordnung betrachten. Der Dschihad als „heiliger Krieg“ sei also dem Islamismus zuzuordnen und nicht dem Islam an sich.

Sowohl der institutionelle Islamismus als auch der Dschihadismus würden die europäischen Werte gefährden. Die Gefahr für Europa würde dadurch verstärkt, dass die europäische Identität nicht durchgängig als „inklusive Identität“ gelebt werde, also einer Identität, die auf gemeinsamen Werten, beruhe, sondern dass die europäische Identität sich im Alltag auch auf die ethnische Abstammung beziehe („exklusive Identität“). Angehörige nicht-europäischer Ethnien hätten es daher schwer, zu einer europäischen Identität zu finden.

Der Islamismus werde Europa jedenfalls noch mindestens 20 Jahre beschäftigen. Eine Lösung sieht Professor Tibi in einer Europäisierung des Islams, also einer Anpassung an europäische Werte, verbunden mit einer inklusiven europäischen Identität. Die Unterstützung von Medien, Politik und liberalen Moslems, die sich bei islamistischen Übergriffen und Terrorakten zu Wort melden sollten, sei genauso erforderlich wie eine Erziehung der Kinder im Sinne des Islam, jedoch nach europäischen Werten. Es müsse möglich sein, Moslem UND Europäer zu sein.

Die anschließende Diskussion wurde von Claus Reitan, langjähriger Journalist und Medienkenner, mit größter Kompetenz und Professionalität geleitet.

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