16. Dezember 2021

Zuhause lernen: Können wir mit Geschichten besser lernen als mit Lehrbüchern?

Ein erster Einblick in das gleichnamige Kapitel aus dem Buch „Remote (& Hybrid) Working: Variants, Determinants, Outcomes“

Eine der besonders sichtbaren Folgen der Covid-19-Pandemie war das Zurückfahren der meisten sozialen Zusammenkünfte. Auch Bildungsinstitutionen waren davon betroffen, sowohl klassische Institutionen wie Schulen und Universitäten wie auch Stätten des betrieblichen Lernens. Aus diesem Umstand ergab sich ein größerer Bedarf an Distance und Hybrid Learning, dem mit den heutigen technischen und digitalen Möglichkeiten auf ganz andere Weise begegnet werden konnte, als es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Eine der in diesem Zusammenhang bisher weniger betrachteten didaktischen Methoden ist das Storytelling, dessen Potenzial Yevgen Bogodistov und Martin Dinter, aus dem MCI Department "Betriebswirtschaft Online", in einem Experiment in einen der Bachelorkurse untersucht haben.

Eines der größeren Probleme im Zusammenhang mit dem durch die Covid-19-Pandemie deutlich häufiger eingesetzten Home-Office, dürfte der daraus entstehende Mangel an Gelegenheiten zum informellen Lernen sein, das vor allem im Arbeitskontext eine bedeutende Rolle spielt. Unter informellem Lernen wird ein Lernen verstanden, das sich aus alltäglichen Aktivitäten speist und das in keinem formalen Lehr-Lern-Setting verankert ist. Der tägliche Austausch zwischen Arbeitskolleg*innen während der Kaffeepause, bei dem die Beteiligten nicht nur etwas über die Tätigkeiten der anderen erfahren, sondern auch die eigene Tätigkeit damit in Zusammenhang bringen und dadurch größere Prozessabläufe verstehen können, ist ein gutes Beispiel für diese Art des Lernens. Es basiert auch auf einer gewissen Zufälligkeit und hat in der Regel kein festgesetztes Lernziel, sondern passiert en-passant. Diese Art des Lernens nimmt einen großen Stellenwert im betrieblichen Lernen ein - manche Autoren, z.B. Michael Eraut, einer der bedeutendsten Forscher des informellen Lernens, gehen sogar soweit, es als größten Faktor einer kompetenten Belegschaft zu betrachten. Es bedarf aber durch seine Zufälligkeit entsprechender Gelegenheiten, die durch den Einsatz von Home-Office seltener werden. Eine Möglichkeit, diesem Mangel an Gelegenheiten zu begegnen, ist der intentionale Einsatz von Storytelling, dessen Einsatz als didaktisches Mittel auf vergleichbaren Prinzipien beruht, dem sog. experiential learning. Nach dieser Theorie besteht Lernen aus zwei Prozessen:

Es ließe sich annehmen, dass diese Erfahrungen stets selbst erfahren werden müssen, um aus ihnen wirksam zu lernen. Offenbar ist aber eine Erfahrung “aus zweiter Hand” bereits ausreichend, um die entsprechenden neuronalen Strukturen zu bilden. Wer andere beobachtet, wie sie eine Erfahrung machen, kann selbst aus dieser Erfahrung lernen.

An diesem Punkt setzt die Verknüpfung von Lernen und Storytelling an. Vor allem zwei Punkte scheinen in diesem Zusammenhang relevant zu sein: Zum einen vermitteln Storys Emotionen, die das Publikum mitfühlen oder sich sogar mit der entsprechenden Figur identifizieren lassen. Zum anderen kann eine Story auch eine Form der Simulation darstellen, in der das Publikum die Möglichkeit bekommt, die in der Story dargestellten Kompetenzen zu erleben und sie sich in diesem Rahmen zu eigen zu machen. Im Managementbereich werden bereits seit längerem Storys zu Ausbildungszwecken eingesetzt. Ein erfolgreiches und über den akademischen Einsatz hinausgehendes Beispiel ist der Roman “Das Ziel” von Eliyahu Goldratt, in dem der Protagonist scheinbar unlösbaren privaten und beruflichen Problemen begegnet und dem das Zusammentreffen mit einem Consultant bei der Bewältigung dieser Probleme hilft. Goldratt beschränkt sich nicht nur auf das Beschreiben von Hinweisen, wie in einer gegebenen Situation gehandelt werden könnte, sondern lässt seinen Protagonisten eben diese Situation unter Anwendung seiner Hilfestellungen durchleben. Das Buch wurde laut Kritikern zu einem der 25 einflussreichsten Business-Bücher.

In unserer Untersuchung interessierten uns zwei Fragen:

Zur Beantwortung der Fragen schrieben Studierende einer Bachelor-Lehrveranstaltung eine Reihe von Storys, die an knapp 800 Teilnehmer verteilt wurden. Die Teilnehmer mussten die Story lesen, im Anschluss die Story hinsichtlich ihres Informationsgehalts, der eigenen Lesefreude und der dabei empfundenen Emotionen bewerten sowie einen kurzen Test bearbeiten, in dem die in den Storys vermittelten Informationen abgefragt wurden.

Tatsächlich konnten wir unsere Hypothesen bestätigen: Es stellte sich heraus, dass der Informationsgehalt von Storys als höher wahrgenommen wurde als der Informationsgehalt reiner Fachtexte. Auch die wahrgenommene Nützlichkeit des in Storys enthaltenen Wissens erschien den Teilnehmern höher. Schließlich stellten sich auch die Learning Outcomes als höher heraus, wenn Informationen durch Storys vermittelt wurden anstelle von reinen Fachtexten. Ein Punkt stach dabei besonders heraus: Pleasantness matters! Je lustiger eine Story wahrgenommen wurde, desto größer war der Lerneffekt. Und je mehr die Teilnehmer das Gefühl hatten, nach dem Lesen der Story “in control” zu sein, d.h. den Kern der beschriebenen Thematik durchschaut zu haben, desto besser wurde ebenfalls gelernt. Offenbar kann Storytelling also ein nützliches Tool in Zeiten sein, in denen der Großteil der Informationen losgelöst von Kolleg*innen online aufgenommen wird.

 

Geschrieben von: Martin Dinter, Co-Autor des Buchkapitels

 

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