12. September 2022

Sexismus im Alltag – Wahrnehmungen und Erscheinungsformen in Tirol

Center for Social & Health Innovation (CSHI) und L&R Institut für Sozialforschung arbeiten im Auftrag des Landes Tirol an dem Thema „Sexismus im Alltag – Wahrnehmungen und Erscheinungsformen in Tirol“

Der Begriff Sexismus benennt die systematische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Sexistische Handlungen können – wie auch andere Formen von Diskriminierungen – unbewusst und bewusst vorkommen. Alle Menschen können von Sexismus betroffen sein, wobei Frauen meist in anderer Form und in weitaus höherem Ausmaß betroffen sind als andere Geschlechter. Die Basis von Sexismus bilden gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse und Geschlechterstereotype. Dabei werden traditionelle Rollenbilder, Umgangsweisen und ungleiche gesellschaftliche Bedingungen als gegeben angesehen. Sexismus hat vielfältige Erscheinungsformen und zeigt sich unterschiedlich in allen Bereichen der Gesellschaft: am Arbeitsplatz, in Institutionen, in der Werbung, in Sprache, im Internet, im Alltag, in der Freizeit und an verschiedenen Orten. Da Sexismus als eine zentrale Grundlage von Gewalt gegen Frauen angesehen werden kann, hat die Beschäftigung mit diesem Thema und die Entwicklung von Gegenstrategien angesichts der in Österreich hohen Anzahl an Femiziden in der jüngeren Vergangenheit eine besondere Relevanz. Gleichzeitig liegen zum Thema Sexismus in Österreich aktuell kaum sozialwissenschaftliche Untersuchungen vor. Demensprechend sollte in einer ersten Pilotstudie das Thema Sexismus in Tirol untersucht werden. Die Pilotstudie „Sexismus im Alltag – Wahrnehmung und Erscheinungsformen in Tirol“ wurde auf Basis eines Landtagsbeschlusses durch das Land Tirol in Auftrag gegeben. Das Center for Social & Health Innovation des MCI | Die Unternehmerische Hochschule® hat L&R Sozialforschung unterstützt und ergänzend zur quantitativen Befragung die qualitative Forschung vor Ort in Form von Fokusgruppen umgesetzt.

Die Fokusgruppen verfolgten die Ziele, ggf. auch Personengruppen in die Erhebung einzubeziehen, die mit einer Online-Erhebung nicht erreicht werden können und die quantitativen Ergebnisse anzureichern. Dabei erlauben es die persönlichen Gespräche in die Tiefe zu gehen und Erfahrungen und Einschätzungen zum Thema Sexismus aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. In Summe wurden vier Fokusgruppen mit insgesamt 34 Teilnehmer/innen durchgeführt. Dabei wurden Einschätzungen zu regionalen Spezifika und persönliche Erfahrungen mit Sexismus ebenso diskutiert wie Handlungsbedarfe für Politik wie Gesellschaft. Die größte Herausforderung bestand darin, auch Männer zur Teilnahme an den Diskussionen zu bewegen.

Mittlerweile wurden die Ergebnisse in Form eines Endberichts an das Land übergeben. Im Rahmen des Projekts konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen und Handlungsbedarfe identifiziert werden. Es wurde deutlich, dass gerade strukturelle Voraussetzungen weiter Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bedingen bzw. deren Gleichstellung behindern. So sind unzureichende Kinderbetreuung, ungleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit oder Lohnintransparenz zentrale Indikatoren, die weiterhin dazu beitragen, dass Frauen vorrangig die Care-Arbeit leisten bzw. Elternzeit nicht zu gleichen Teilen in Anspruch genommen wird. Auffallend ist zudem, dass fast ausnahmslos alle weiblichen Teilnehmerinnen über persönliche Erfahrungen von Diskriminierung bzw. Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt berichten und für die Diskutantinnen stellen diese Erfahrungen alltägliche Risiken dar. Die Aneignung persönlicher Schutzmechanismen und Verteidigungsstrategien aus Sorge vor möglichen Zwischenfälle im Alltag mit sexistischem Hintergrund, sind gängige Praktiken weiblicher Teilnehmer/innen: Nur dort gehen wo Licht ist, das Handy immer griffbereit halten, auch als Single immer sagen, vergeben zu sein. So sind beispielsweise abendliche Spaziergänge durch den Park, Feiern oder das alleinige Warten an der Bushaltestelle in der subjektiven Wahrnehmung vielfach problematisch bzw. mit Risiken verbunden. Aber auch Vereinsstrukturen, Brauchtum und traditionelle Rollenbilder, vorrangig, aber nicht ausschließlich, in ländlichen Regionen sind geprägt von geschlechterdiskriminierenden und sexistischen Praktiken, Handlungs- und Denkweisen. Auch hier spielen die strukturellen Voraussetzungen eine wesentliche Rolle, da öffentliche Förderungen/Gelder an Vereine aller Art ausgeschüttet werden, ohne als Gegenleistung die Satzungsmäßige Inklusion und den gleichen Zugang zu allen Funktionen für alle Geschlechter einzufordern. Die Teilnehmer/innen der Fokusgruppen sprechen auch an, dass es bei Frauen wie Männern an den kommunikativen Kompetenzen bzw. der Sensibilität fehlt, Sprache so zu wählen, dass sie Geschlechter nicht abwertet, sondern anerkennend und wertschätzend ist – hier sei der Bildungssektor mitunter in der Pflicht. Dies kann unintendiert und intendiert passieren. Zudem wird deutlich, dass auch Frauen patriachale Strukturen und geschlechterspezifische Strukturen internalisiert haben und diese reproduzieren. Auch benevolenter Sexismus, also Verhalten das in seiner beschützenden und helfenden Form die Leistungsfähigkeit und Kompetenzen des anderen Geschlechts in Frage stellt bzw. untergräbt scheint besonders Thema zu sein – Frauen seien hier wesentlich stärker betroffen.

Eine ausführlichere Darstellung der Ergebnisse sowie des Projektablaufs, Samples und der Methodik im Rahmen der Fokusgruppen können dem Ergebnisbericht Fokusgruppen „Sexismus im Alltag – Wahrnehmung und Erscheinungsformen in Tirol“ entnommen werden, der zum Download zur Verfügung steht. Die Ergebnisse der Online-Erhebung von L&R Sozialforschung sind in einem gesonderten Ergebnisbericht zu finden. Auf Grundlage der Ergebnisse beider Erhebungen finden sich am Ende beider Berichte die zusammengeführten Handlungsbedarfe und -optionen. Diese können als Grundlage für mögliche Maßnahmen und weitere Forschungsinitiativen dienen.

Kontakt:

Friederike Sahling, B.Sc. M.A.

Wissenschaftliche Assistenz & Projektmanagement

+43 512 2070 – 7442

friederike.sahling@mci.edu

 

 

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Studie zu Sexismus im Alltag – Wahrnehmungen und Erscheinungsformen in Tirol. Foto: @ Isreal Andrade / Unsplash

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